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10 Städtebauliche Entwicklung und Wohnen

10.2 Städtebauliche Entwicklung von ca. 1935 bis Ende des 2. Weltkriegs

Überblick
Die städtebauliche Entwicklung des Rastpfuhls in der Zeit ab 1935 bis in die ersten Kriegsjahre hinein ist geprägt durch den Bau der Waldsiedlung:
Parallel dazu setzte sich die Bebauung des "alten Rastpfuhls" fort entlang der Lebacher Straße, Schaumbergstraße, Ahrstraße und Hochwaldstraße.

Zudem wurde in "Klein-Moskau" und am Bernkasteler Platz sowie oberen Gilbenkopf  mit dem Bau von drei- bzw. zweigeschossigen Wohnblöcken begonnen, die aber wegen der Kriegseinwirkungen mit wenigen Ausnahmen nicht abgeschlossen wurden oder nur bis zum Rohbau fertiggestellt werden konnten.

Bebauung bis 1945
Abb. 10.2.1: Städtebauliche Entwicklung bis 1945 (vorhandene Bebauung außerhalb des Rastpfuhls nicht dargestellt,
"Waldsiedlung Rastpfuhl" lt. Infotafel der SGS in [6]) (höher aufgelöste Grafik als PDF-Datei)

Waldsiedlung
Erste Überlegungen, im Gebiet des oberen Rastpfuhls, also nördlich der heutigen Moselstraße und der heutigen Rußhütter Straße und westlich der heutigen Hubert-Müller-Straße den Wald zu roden und eine Wohnsiedlung zu errichten, gehen auf das Jahr 1934 zurück. Manifestiert wurden diese Überlegungen durch den Antrag des Vermessungsrats Klüser im Herbst 1934 bei der Stadt Saarbrücken, eine Siedlung an der Rußhütterstraße und Hermann Lönsstraße [heute: Moselstraße] zu genehmigen und die entsprechenden Aufwendungen hierfür zu machen. Nachdem dieser Antrag zunächst abgelehnt wurde, weil die heutige Moselstraße und die Rußhütter Straße bis dahin als oberste Bebauungsgrenze galt, vgl. Abschnitt "Planungen in den 1920/1930er Jahren" im Kapitel 10.1 Städtebauliche Entwicklung bis ca. 1935.
Nachdem die Forstbehörde ihre ablehnende Haltung nach Verhandlungen aufgab, wurde die Erarbeitung eines Erschießungsplans in Auftrag gegeben, welcher bereits zum 23. März 1935 fertig gestellt wurde. In einer Besprechung am 29. März 1935 mit dem damaligen Oberbürgermeister Ernst Dürrfeld wurde beschlossen, die Trägerschaft der Siedlung der Stadt Saarbrücken, d.h. der "Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft" (SGS) [2],[3] zu übertragen und die Grundstücke in Erbpacht zu vergeben.[1] Später wird jedoch vom Erwerb der Grundstücke für 3 RM (Reichsmark) pro Quadratmeter berichtet. [19], [20]
Zum Bau der sogenannten Waldsiedlung erwarb die Siedlungsgesellschaft, meist auch kurz "die Siedlung" genannt,  Grundstücke mit einer Gesamtgröße von ca. 50 ha von der Saarbrücker Forstverwaltung. [2]
Ziel der Baumaßnahmen war es, für weniger begüterte Bürger günstigen Wohnraum zu schaffen. Die Einfamilienhäuser mit Kaufanwartschaft wurden überwiegend in Eigenhilfe errichtet. Dazu traten die Siedler in den "Genossenschaftlichen Siedlungsverein Selbsthilfe Saar" ein, der bereits 1933 für andere Bauvorhaben gegründet wurde. 1936 mussten die Siedler sich zudem dem "Deutschen Siedlerbund Berlin e.V."  anschließen und gründeten dazu die "Siedlergemeinschaft Rastpfuhl im Deutschen Siedlerbund".  Der Verein besteht bis heute fort als "Siedlergemeinschaft Saarbrücken-Rastpfuhl" im "Verband Wohneigentum Saarland e.V."[8], s.a. Kap.  12.4.5 Vereine.
Die Grundstücke der "Siedlerstellen" waren mit 1.000 bis 1.200 m² relativ groß, um im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie die Voraussetzungen für eine Selbstversorgung mit Gemüse, Obst und Fleisch zu schaffen.[12] Daher war für jede Siedlerstelle im Haus oder in einem Anbau ein Kleintierstall vorgesehen und zur "Grundausstattung" sollten gehörten 1 Schwein, 10 Hühner, 1 Ziege und verschiedene Obstbäume gehören.[4] Alle Einfamilienhäuser waren und sind es noch heute, sofern sie nicht erheblich umgebaut wurden, 1 ½ geschossig mit Satteldach.
Aus Dokumenten [19] und [20] geht hervor, dass der Kaufpreis für das Grundstück auf 3 RM inkl. Straßenbaukosten in Höhe von 2,37 RM je Quadratmeter festgesetzt wurde.  Der ursprüngliche Plan, pro Grundstück eine biologische Kläranlage nach dem Friedersdorffsche Sickersystem vorzusehen, wurde zugunsten eines Kanalanschlusses verworfen. Daher war zusätzlich  für den Kanalbaukostenanteil für jedes Grundstück nur ein Pauschalbetrag in Höhe von 285.- RM zu zahlen.
Anfang des Jahres 1935 erfolgte die Rodung des Geländes und die provisorische Anlage der Straßen, am 6. Mai 1935 der erste Spatenstich. Genau ein Jahr später, am 6. Mai 1936 waren die Rohbauten der 135 Häuser fertig. (2] (lt. [7]: 136 Siedlerstellen). An diesem Tag wurde auf dem heutigen Trabacher Platz das Richtfest gefeiert und es fand die Verlosung der Siedlerstellen statt.[7] Knapp zwei Monate später, am 1. August waren die Einfamilienhäuser der SGS bezugsfertig.
Im Mai 1936 begann in der Rußhütter Straße auch der Bau von 20 Siedlerstellen von der damaligen „Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung“ (NSKOV), die wie die Häuser der SGS überwiegend in Selbsthilfe errichtet wurden.[7]
Neben den Einfamilienhäusern wurden von der Siedlungsgesellschaft am Trarbacher Platz, am Bernkasteler Platz , im Cochemer Weg, im Erdener Weg und Am Gilbenkopf (alles heutige Straßennamen) Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen, sog. "Volkswohnungen" gebaut. Die Mehrfamilienhäuser am nördlichen Trarbacher und am nördlichen Bernkasteler Platz sind 2 ½ geschossig mit Satteldach, die übrigen 1 ½ geschossig. Meist gab es in den Mehrfamilienhäusern 4 Wohnungen, nur in den Häusern im Cochemer Weg  bis zu 6 Wohnungen mit einer Größe von nur ca. 40 oder 43,6 m². [4] Einige der Mehrfamilienhäuser im Erdener Weg waren Versuchshäuser mit neuen Haustypen.[5]
Insgesamt wurden von 1936 bis 1938 90 Mehrfamilienhäuser mit 200 Mietwohnungen und ab 1938 29 Mehrfamilienhäuser mit 79  Wohnungen gebaut.[2] Der Bau der 2-½- geschossigen Mehrfamilienhäuser am oberen Gilbenkopf wurden zwar bereits vor oder Anfang des 2. Weltkriegs begonnen, aber erst Anfang der 1950er Jahre beendet [9], vgl. Kap. 10.3.

Siedlungshäuser Siebenbürger Weg
Abb. 10.2.2: Siedlungshäuser im Siebenbürger Weg (Aufnahme von 2019)

GAGFAH-Siedlung auf dem oberen Rastpfuhl
Mit dem Bau der GAGFAH-Siedlung nördlich des heutigen Cochemer Weges und zwischen dem heutigen oberen Enkircher und Lieserer Weges in den Jahren 1936 bis 1937 wurde die Waldsiedlung ergänzt. GAGFAH ist die Abkürzung für „Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten Heimstätten“.
In zwei Bauabschnitten wurden 101 1-½- geschossige Häuser erstellt (23 Einfamilien- und 39 Doppelhäuser).[6]. Die Grundstücke haben nur eine Größe von ca. 500 bis 600 m².[11] Daraus lässt sich ableiten, dass im Gegensatz zu den Arbeiterhäusern die Selbstversorgung nicht im Vordergrund stand.

GAGFAH-Siedlung von 1936/37
Abb. 10.2.3: Lage der 1936/37 erstellten Häuser der GAGFAH-Siedlung (höher aufgelöste Grafik als PDF-Datei)


Geschoss-Wohnungsbau in "Klein-Moskau"
Den Planungen seit den 1920er Jahren folgend, vgl. Kap. 10.1.,  wurden Ende der 1930er Jahre mit dem Bau von 3-geschossigen Mehrfamilienhäusern im Quartier "Klein-Moskau" begonnen. Davon wurden vor dem Krieg jedoch nur wenige Häuser fertig gestellt [9], [10] :
Dabei wurde die 8 Wohnblocks Hunsrückstr. 2-8, Rheinstr. 20-26, 12-18, 4-10, Riegelsberger Str. 57-63, Taunusstr. 2-8, 10-14 und 16-22 von der GAGFAH errichtet, gingen aber nach dem Krieg (23. Januar 1947) in das Eigentum der SGS über.[21], [10], [23]
Planungen vom März 1941 gehen von 15 dreigeschossigen Blocks mit insgesamt 300 Wohnungen aus an Trifels-, Taunus-, (heutiger) Erbeskopf- und an der Riegelsberger Straße aus. [13]-[15] Bauherr der Wohnblocks war die „Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeiterfront (D.A.F.) im Gau Westmark G.m.b.H. , Saarbrücken".
Im Dezember 1941 wird in [16] - [18] über den Bau von nur noch 219 Volkswohnungen (27 Dreiraum-, 169 Vier- und 23 Fünfraum-Wohnungen) in 37 dreigeschossigen Häusern an der Riegelsberger, Taunus-, Hunsrück- und Lahnstraße berichtet. 13 der 219 Wohnungen waren normierte Erprobungstypen in Bezug auf Grundriss und Wohnungsgröße nach Vorgaben des Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau Robert Ley.[22]
Baubeginn von 23 der 37 Häuser war am 7. Juli 1941, im Mai 1942 sollten die ersten Wohnungen bezugsfertig sein. Für den 16. Dezember 1941 war eine Baustellenbesichtigung und ein Richtfest für die ersten Wohnungen geplant.
Spätestens nach dem Führererlass vom Januar 1942, wonach wegen der "gegenwärtigen Lage des totalen Krieges" alle Vorbereitungen und  Planungen für künftige Friedensaufgaben zurückzustellen sind[22], dürften die Bautätigkeiten eingestellt worden sein.
Das Grundstück und die Häuser der GAGFAH wurden nach dem Krieg von der Siedlungsgesellschaft erworben, die Im Krieg beschädigten Gebäude instandgesetzt, die begonnenen Baumaßnahmen fortgesetzt und die noch freien Grundstücke bebaut.[2]

Kriegszerstörungen
Insbesondere bei dem verheerenden Bombenangriff auf Saarbrücken in der Nacht 5/6. Oktober 1944 wurden etliche Häuser auf dem Rastpfuhl stark beschädigt oder zerstört. Dazu zählten nicht nur Wohnhäuser der neu entstandenen Siedlungen, sondern auch das Rastpfuhl-Krankenhaus,  die Teerfabrik Hugo Sarg, das Rastpfuhl-Krankenhaus und die Kirche St. Antonius. [9], Kap. 14.3

Weitere Informationen
Detaillierte Informationen zu den verschiedenen Haustypen auf dem oberen Rastpfuhl, zu den Kriegszerstörungen und zum Verein der  "Siedlergemeinschaft Saarbrücken-Rastpfuhl" sind in [4] bis [7] und in [9] enthalten.


Quellen:
  1. Bericht des städtischen Hochbauamts vom 24. April 1935 über die Entstehung der Siedlung Rastpfuhl westlich und östlich der Lebacherstraße (StA-SB Sign. V 60 - 7)
  2. Saarbrücker Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft (Hrsg.): Panorama des Bauens - 50 Jahre Saarbrücker Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft. Hoppenstedt-Verlag (Vertrieb), Darmstadt 1970
  3. Geschichte der Immobiliengruppe Saarbrücken, online auf den Internetseiten der Immobiliengruppe Saarbrücken
  4. Dies war der Anfang ... In: Der Rastpfuhl - Geschichte eines Siedlungsgebietes und seiner Bewohner. Herausgeber: Deutscher Siedlerbund Landesverband Saarland e.V., Siedlergemeinschaft Saarbrücken-Rastpfuhl e.V., Volkshochschule Stadtverband Saarbrücken. November 1999
  5. Müller, Helmut u. Fuchs, Friedrich: 60 Jahre Siedlergemeinschaft Rastpfuhl 1936 - 1996 (3. Anmerk.)  a.a.O.
  6. Mössner, Gerd: Buben auf dem Rastpfuhl. a.a.O.
  7. 50 Jahre Siedlergemeinschaft Rastpfuhl. In: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Siedlergemeinschaft Saarbrücken-Rastpfuhl e.V.,  1986
  8. Homepage des Verband Wohneigentum Saarland e.V.
  9. Luftbild des Rastpfuhl von 1945 in: Brunner, Florian: Saarbrücken – Entdeckungen von oben. Geistkirch Verlag, Saarbrücken 2014,  ISBN 978-3-938889-03-9
  10. Informationen seitens der Abteilung Marketing/Öffentlichkeitsarbeit der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft mbH (E-Mail an den Autor v. 05.03.2018, 15:59 Uhr)
  11. Freie Liegenschaftskarte auf dem Internet-Geoportal Saarland
  12. Schwall, Stefan: Wohnungen für das Volk. Online auf den Internet-Seiten "Saar-Lese"
  13. Plan "Neugestaltung Saarbrücken - Wohnungsbauten an der Deutschen Strasse" v. Februar 1941, hrsg. v. Stadtbauamt Saarbrücken (StA SB G 60 – 6748: Bauvorhaben der Neuen Heimat an der Lebacher Straße, 1941 – 1942)
  14. Aufstellung v. 14. März 1941 zu den vorläufigen Anliegerkosten der im Stadtteil Malstatt von der Neuen Heimat zu errichtenden Wohnungsbauten (StA SB, a.a.O.)
  15. Schreiben "Wohnbauvorhaben im Stadtteil Malstatt, womit 300 Wohnungen erstellt werden sollen" v.  17. März 1941 an die Neue Heimat Siedlungsgesellschaft (StA SB, a.a.O.)
  16. Schreiben v. 4. Dezember 1941 des Städtischen Wohnungsbau- und Siedlungsamts Saarbrücken an den Beigeordneten Laub zur Finanzierung von Volkswohnungen (StA SB G 60 – 6748: Bauvorhaben der Neuen Heimat an der Lebacher Straße, 1941 – 1942)
  17. Schreiben v. 4. Dezember 1941 der "Neuen Heimat" Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeiterfront an den Beigeordneten Laub zur Einladung für ein Richtfest (StA SB, a.a.O.)
  18. Anlage zu einem Brief v. 15. Dezember 1941 von der "Neuen Heimat" an den Oberbürgermeister der Stadt Saarbrücken (StA SB, a.a.O.)
  19. Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Saarbrücken v. 1.3.1939 an die Finanzverwaltung, Betr. Die Bebauung im Rastpfuhl-Siedlungsgebiet. (StA SB Sign. V 60 - 1003 Verzeichnis der im Rastpfuhl-Siedlungsgebiet errichteten Häuser, 1939)
  20. Stellungnahme des Saarbrücker Städtischen Siedlungsamts vom 5. Nov.1935: Betr. Siedlung Rastpfuhl, zum Schreiben des Herrn Oberbürgermeisters vom 5. Nov.1935 (StA SB Sign.  G OB.2 – 3340: Angelegenheiten der städtischen Ämter und Dienststellen, 1935 – 1944)
  21. Protokoll zur Besprechung am 22. Nov. 1937 zwischen Vertretern der GAGFAH und Vertretern des Stadtbauamts Saarbrücken. In: StA SB, Sign. G 60 - 4270 Wohnungsbauten der Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah)
  22. Recker, Marie-Luise: Staatliche Wohnungsbaupolitik im Zweiten Weltkrieg. In:  Die alte Stadt. Zeitschrift für
    Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, Band 2, 1978, 5. Jahrgang, ISSN 0340-3688
  23. Wald, Hildegard u. Klein, Heinz-Peter (Hrsg.): 100 Jahre Saarbrücker gemeinnützige Siedlungsgesellschaft. Edition Architektur und Kultur, Saarbrücken 2020. ISBN 978-3-9820631-3-3
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